Deutsch-türkischer Ortsverein 'Brücke der Kulturen'

Hadi Kamisli hat 2013 den Ortsverein „Brücke der Kulturen“ in Dortmund-Eving für Menschen mit türkischen Migrationshintergrund gegründet.

Wo Brücken gebaut werden, wird Integration gelebt

Hadi hat 2013 den Ortsverein „Brücke der Kulturen“ in Dortmund-Eving für Menschen mit türkischen Migrationshintergrund gegründet. Seine gesamte Familie unterstützt ihn bei seiner Herzensangelegenheit. Mit großem ehrenamtlichen Einsatz tragen alle dazu bei, dass türkischstämmige Menschen aus Dortmund sich in Deutschland zuhause fühlen. Hadi und seine Familie musizieren zusammen vor dem AWO-Stadtzentrum in Dortmund. 

Hadi Kamisli hat in seinem Leben schon viele Brücken gebaut. Aber er ist kein Bauingenieur, sondern Gründer des AWO-Ortsvereins in Dortmund-Eving. Im bildlichen Sinne können Brücken Menschen, Kulturen und Glaubensrichtungen miteinander verbinden. Dabei muss nicht immer in beide Richtungen eine Verbindung geschaffen werden. Manchmal reicht es, wenn die Brücke nur in eine Richtung führt. Eine solche Brücke hat Hadi geschaffen. Der AWO-Ortsverein „Brücke der Kulturen” bietet Menschen mit türkischem Migrationshintergrund wichtige Informationen für das Leben in Deutschland und einen Ort zum Austausch. Hier wird Integration gelebt.

Der Ortsverein setzt sich aus 52 Mitgliedern zusammen. Deren Altersspanne ist groß. „Der Jüngste ist acht, der Älteste 75 Jahre alt”, berichtet Hadi. Die meisten Mitglieder sind Rentner*innen. Es kommen aber auch Familien mit Kindern zu den Treffen. 94 Prozent der Mitglieder haben einen türkischen Migrationshintergrund. Der große Anteil der türkischen Mitglieder macht auch das Besondere des Ortsvereins aus.

Hadi Kamisli setzt sich für andere Menschen mit türkischem Migrationshintergrund ein. Und das eben nicht in einer muslimischen Gemeinde, sondern in einem deutschen Verband. Mit der Mitgliederstruktur repräsentiert der Ortsverein den hohen Anteil der Migrant*innen in Dortmund-Eving. Im Jahr 2015 lebten in diesem Stadtteil rund 22 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. In ganz Dortmund waren es etwa 16 Prozent. Drei von zehn Migrant*innen in Dortmund-Eving haben türkische Wurzeln. 

Als Vereinsvorsitzender gibt Hadi alles. Der Ortsverein ist seine Herzensangelegenheit. Ehrenamtlich organisiert der 58-Jährige die Treffen des Ortsvereins, begleitet die Mitglieder zu Terminen mit Ämtern, fungiert als Vertrauensperson und Übersetzer. „Acht Stunden arbeite ich am Tag für den Verein. Jetzt, wo meine Frau nicht da ist, kann ich es ja sagen”, gesteht er.

Seine Frau schimpft ab und zu liebevoll mit ihm, wenn Hadi seine gesamte Zeit in den Ortsverein investiert. Damit seine eigene Familie nicht zu kurz kommt, bindet er sie in den Verein ein. Fatma unterstützt ihren Ehemann, wo sie nur kann.

Tochter Özge hat während ihres Studiums eine Theatergruppe für die Kinder und Jugendlichen des Ortsvereins geleitet. Die Theaterstücke waren alle auf Deutsch. So konnten die türkischstämmigen Kinder ihre Deutschkenntnisse verbessern. Und auch Hadis Bruder Gürani Dogan unterhält den Ortsverein hier und da musikalisch. Er singt gerne türkische Volkslieder und spielt Baglama. Das türkische Saiteninstrument ähnelt einer Gitarre. 

Mit 18 Jahren kam Hadi nach Deutschland. Zunächst arbeitete er im Bergbau. Schon damals verspürte er den Wunsch, anderen zu helfen. Er wurde arbeitsunfähig. 2013 konnte er sich seinen Traum schließlich erfüllen: Der Familienvater gründete seinen eigenen Ortsverein „Brücke der Kulturen“ und wurde dessen Vorsitzender. Ein türkisches Frühstück jeden Freitag war das erste Angebot des Vereins.

Nach und nach kamen in den Gesprächen mit den türkischstämmigen Rentner*innen immer mehr Fragen auf. Welche Leistungen können Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland in Anspruch nehmen? Ab welchem Alter sollte man zur Schilddrüsenvorsorge gehen?

agenda Siegel

Foto: In den Jahren 2015 und 2018 wurde der Ortsverein „Brücke der Kulturen“ jeweils mit dem 2. Preis Agenda Siegel ausgezeichnet. Verliehen wird es als Auszeichnung für bürgerschaftliche Projekte und Ideen im Bereich nachhaltiger Entwicklung, die im Sinne der Agenda 21 ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen miteinander verbinden.

 

In enger Zusammenarbeit mit Cordula von Koenen – damals im Seniorenbüro in Dortmund-Eving tätig – lud Hadi Referent*innen ein. Die Themen der Vorträge wurden zusammen in der Gruppe beschlossen. In der einen Woche ging es um deutsche Feste und Bräuche, in einer anderen wurden die Krankheiten Demenz und Alzheimer behandelt.

Bis heute werden alle zwei bis drei Wochen Vorträge gehalten. Der Ablauf ist immer gleich. Der Referent*die Referentin trägt zunächst auf Deutsch vor. Im Anschluss übersetzt Hadi die Inhalte auf Türkisch. So stellt er sicher, dass wirklich jeder alles versteht.

Die meisten Mitglieder des Ortsvereins gehören der ersten Generation an, die als Gastarbeiter*innen nach Deutschland kamen. „Wenn das Arbeitsamt damals der ersten Generation angeboten hätte, Deutschkurse zu bezahlen, könnten sie jetzt besser Deutsch reden“, kritisiert Hadi. Aktuell bietet der Ortsverein keine Deutschkurse an, vermittelt aber bei Bedarf. Wenn in einer Woche niemand einen Vortrag hält, treffen sich die Vereinsmitglieder wie gewohnt zum türkischen Frühstück.

Bei Gelegenheit unternimmt der Ortsverein gemeinsame Aktivitäten mit dem AWO-Seniorenzentrum, dem Begegnungszentrum oder einem anderen Ortsverein aus Eving. Bei einem interkulturellen Frühstück, dem Sommerfest oder einem Tanzkurs treffen die deutsche und die türkische Kultur aufeinander. 

Mit regelmäßigem Frühstück, Vorträgen sowie Spiel und Spaß wird im Ortsverein „Brücke der Kulturen” viel Abwechslung geboten. Hadi schafft eine gute Mischung aus Begegnung, Information und Austausch. Das findet auch Cordula von Koenen, heute tätig in der Verbands- und Öffentlichkeitsarbeit für die AWO in Dortmund: „Da ist echt etwas gewachsen. Das ist Integration im besten Sinne.”

Autoren
Westfälische Hochschule Gelsenkirchen, Lena Behling und Johanna Wolter